Wenn das Jobcenter wegen der Miethöhe einen Umzug fordert

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Miss Excel
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Wenn das Jobcenter wegen der Miethöhe einen Umzug fordert

Beitrag von Miss Excel »

Es kann uns passieren, dass wir durch die MCS-Erkrankung unsere Arbeit verlieren und uns dann die Wohnung nicht mehr leisten können.

Oder aber ein Familienmitglied zieht aus und die Wohnung ist dann für die verbliebenen Bewohner lt. Jobcenter oder Sozialamt zu groß.

In der Regel werden wir dann aufgefordert, innerhalb von 6 Monaten eine neue Unterkunft zu suchen, und danach werden dann nur noch die "angemessenen Kosten" übernommen und wir müssen den Rest aus unserem Regelsatz finanzieren.

ABER es gibt einen Ermessensspielraum. Diesen kann man in der "Handlungsanleitung zur Anerkennung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach §§22ff. SGB II und § 35 SGB XII" für das jeweilige Bundesland finden. Es empfiehlt sich, diesen Handlungsleitfaden von vorne bis hinten durchzuarbeiten und mit diesem zu argumentieren.

Nach dem Auszug meines Sohnes war meine Wohnung ebenfalls zu groß und zu teuer. Aber sie ist verträglich. Das Risiko, in eine unverträgliche Wohnung zu wechseln, ist bei uns ja enorm hoch. Im nächsten Post folgt mein Schreiben als Beispiel. Nach Prüfung meines Falls durch das Gesundheitsamt wurde die höhere Miete anstandslos weiterhin übernommen.

Da jeder Fall individuell ist und sicher mittelfristig auch Sachbearbeiter von Jobcentern und Sozialämtern den Weg in dieses Forum finden werden, rate ich dringend von "abschreiben" ab. Jede Handlungsanweisung ist verschieden, es mag auch im Laufe der Zeit für dasselbe Bundesland Änderungen in den Anweisungen geben. Bitte seht dieses Schreiben nur als Hilfe für Eure eigene Argumentation.
Miss Excel
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Re: Wenn das Jobcenter wegen der Miethöhe einen Umzug forder

Beitrag von Miss Excel »

Widerspruch - Bescheid vom X.X.201X, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
Senkung der Unterkunftskosten zum X.X.201X

Sehr geehrte/r Sachbearbeiter,

hiermit widerspreche ich Ihrem Bescheid vom X.X.201X, Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts, hier Senkung der Unterkunftskosten zum X.X.201X.

Der Begriff der angemessenen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen gesetzeskonforme Auslegung grundsätzlich eine Einzelfallprüfung voraussetzt.

• Zur Bestimmung der Angemessenheit von Unterkunftskosten ist ein Richtwert zu ermitteln oder festzulegen. Dieser Wert hat nicht den Charakter einer Pauschale, weil er keine die tatsächlichen Unterkunftskosten begrenzende Wirkung hat. So ist zu prüfen, zu welchem Mietpreis dem Standard entsprechender Wohnraum am Wohnungsmarkt angeboten wird und ob überhaupt anderer Wohnraum innerhalb des Richtwertes verfügbar ist.

Ich habe beispielhaft in den vergangenen Monaten Wohnungsanzeigen aufbewahrt. Dabei habe ich - ohne im Vorfeld nachzusehen - den Immobilienteil des Wochenblattes aufgehoben. Im Anhang finden Sie die in Frage kommenden Wohnungsanzeigen vom 18.04., 02.05., 11.07., 08.08., 26.09. und 03.10.201X. Sie sehen, dass selbst 1-Zi-Wohnungen oft teurer sind als die von mir bewohnte 2 ZKB. Hingegen sind die meisten 2 ZKB deutlich teurer als meine jetzige Wohnung. Lediglich Erdgeschoss-Wohnungen liegen preislich etwas niedriger, aber doch höher als meine Wohnung.

• Grundsätzlich richtet sich die veranschlagte Quadratmeterzahl nach Anzahl der Personen. Bei einer Person wird die Wohnfläche mit 45 m² veranschlagt. Es gibt jedoch Sonderfälle. So wird Personen, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind oder eine vergleichbare Einschränkung haben, als Richtwert - nicht jedoch als Obergrenze - ein Zuschlag von bis zu 15 m² zuerkannt werden.
Bedingt durch meine Erkrankung müssen Wohn- und Schlafraum getrennt sein und es muss einen ausreichenden Abstand zur Küche geben, d.h. ich benötige einen Raum, in den keine Kochdünste ziehen, weil ich die Gerüche von Braten, Backen und Übergekochtem nicht vertrage. (siehe ärztliche Atteste)

• Ferner ist auch der zukünftige Bedarf ist zu berücksichtigen.
Mein Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bei der DRV Bund läuft noch. Es ist damit zu rechnen, dass mir Beihilfe für einen Heimarbeitsplatz gewährt wird. Das bedeutet, dass ich auch Platz für den Heimarbeitsplatz (PC, Fax, Drucker, Ordner etc.) brauche.
Somit gibt es Umstände, die die Annahme rechtfertigen, dass eine Wiedereingliederung ins Erwerbsleben von der Größe des Wohnraums abhängig ist

• Die Prüfung, ob Besonderheiten des Einzelfalls vorliegen, muss alle Lebensumstände des Leistungsberechtigten berücksichtigen.
Meine MCS ist eine schwere chronische Erkrankung, die allein schon einen GdB von >50 impliziert. Bisher wurde erst ein GdB von 30 anerkannt. Dabei wurde die MCS, wegen der ich den Antrag gestellt habe, gar nicht berücksichtigt. Folglich ist davon auszugehen, dass bei der nächsten Entscheidung ein höherer GdB anerkannt wird.
MCS ist eine Behinderung, durch die ein abweichender Wohnraumbedarf erforderlich ist (siehe ärztliche Atteste)
In meiner jetzigen Wohnung sind die örtlichen Verhältnisse bezogen auf meine Erkrankung gut:

- Die Wohnung liegt im 1. OG. Höher geht nicht wegen der Geruchsbelastung im Treppenhaus (Die Zeit, die ich im Treppenhaus verbringen muss, bis ich bei der Haustür angekommen bin), Erdgeschoss oder Souterrain sind für mich unmöglich, weil meine Fenster nahezu permanent bis zu Temperaturen bei 15 Grad geöffnet sind, soweit die Luft draußen es zulässt.

- In der Nähe liegt ein Naherholungsgebiet (gute Luft)

- Nachbarhäuser sind weiter entfernt als in der Innenstadt. Das bedeutet unter anderem auch weniger Elektrosmog (WLAN). Bei fortgeschrittener MCS kommt oft noch Elektrosensitivität hinzu.

- Kaum Passanten, daher draußen weniger Belastung durch Duftstoffe, Zigarettenrauch, Handys

- Die Wohnung liegt am Ende einer Sackgasse. Daher draußen weniger Belastung durch Abgase

- Die Wohnung hat zwei Balkone. Der vordere Balkon ist für mich oft nicht nutzbar, weil die Nachbarn dort rauchen, ihre Wäsche aufhängen und grillen. Aus dem gleichen Grund kann ich auch oft nicht auf der Vorderseite lüften. Den hinteren Balkon kann ich nutzen, weil kein anderer Mieter des Hauses seinen hinteren Balkon benutzt. Wenn Häuser dichter zusammen stehen als hier, ziehen oft auch Gerüche von der anderen Seite des Hauses in die Wohnung.

- Ich habe bereits begonnen, die Wohnung MCS-gerecht einzurichten und für mich verträglich zu renovieren, soweit ich dazu gesundheitlich in der Lage war.

- Hundehaltung ist erlaubt. Ich brauche einen Hund für meine Spaziergänge (Entgiftung über die Lunge) dort, wo wenige Menschen und damit auch wenige Duftstoffe sind.

• Heizkosten
Es ist davon auszugehen, dass tatsächlich entstehende Heizkosten lediglich dann nicht in voller Höhe zu übernehmen sind, wenn sie bei sachgerechter und wirtschaftlicher Beheizung als nicht erforderlich erscheinen. Es müssen auch die besonderen individuellen Gegebenheiten mit einbezogen werden. Ggf. muss der Leistungsberechtigte Gründe vorbringen, aus denen seine Aufwendungen für die Heizung überdurchschnittlich hoch, im vorliegenden Einzelfall aber gleichwohl noch als angemessen anzusehen sind.
Da ich beide Räume täglich benutzen werde, werde ich auch beide Räume heizen müssen.

Sollten die tatsächlichen Heizkosten hoch erscheinen, ist auch die Qualität der Wärmedämmung und Zustand und Alter der Heizungsanlage zu berücksichtigen. Hierzu kann ich Ihnen leider keine Auskunft geben.
Bisher waren die Heizkosten offensichtlich nicht zu hoch, und wenn ich nun das ehemalige Zimmer meines Sohnes so heize wie zu der Zeit, als er noch bei mir gewohnt hat, werden die Kosten sich in der Relation nicht signifikant ändern.

• Risiko Wohnungswechsel
Ist ein Wohnungswechsel nicht zumutbar und scheidet eine anderweitige Kostensenkung aus, sind weiterhin die tatsächlichen Kosten zu übernehmen.
Mit meiner MCS-Erkrankung habe ich ein sehr hohes Umzugsrisiko. Von anderen Betroffenen bekomme ich immer wieder mit, dass sie umgezogen sind und erst nach Einzug in die neue Wohnung festgestellt haben, dass sie die Wohnung nicht vertragen. Neben Materialien, die in der Wohnung verbaut oder verlegt wurden und deren Ausdünstungen man nicht sofort bemerkt, hier noch einige Beispiele:

- Geruchsbelastungen durch Nachbarn und Luftzirkulation im Treppenhaus sind bei einmaliger Besichtigung nicht zuverlässig einzuschätzen. Ebenso wenig, ob Gerüche aus dem Treppenhaus in die Wohnung dringen.
In meiner letzten Wohnung in der XX-Straße drang Zigarettenrauch durch Undichtigkeiten in der Wand in meine Küche, wenn jemand im Treppenhaus geraucht hat.
Bei meinem Sohn in der YYstraße steht der Mülleimer unten im Treppenhaus. Am Tag der Müllabfuhr sowie einen Tag danach riecht es im Treppenhaus nicht. Die anderen 5 Tage in der Woche zieht der Müllgeruch durchs ganze Haus und lässt sich auch durch Lüften nicht vertreiben. Er dringt sogar bis ins "Arbeitszimmer" meines Sohnes, das direkt hinter der Wohnungstür im 2. OG liegt.

- Schimmelpilzbelastungen sind oft versteckt und ebenfalls nicht bei Besichtigung offen zu erkennen. Meine letzte Wohnung in der XX-Straße war bei Einzug frisch renoviert und die befallenen Stellen waren überstrichen worden. In meinem Schlafzimmer schimmelte es hinter der Heizung und im Bad gab es ebenfalls eine permanente Schimmelbelastung. Im Wohnzimmer hing es von der Wetterlage ab, an welcher Wand sich im Winter oder bei länger andauernden Regenfällen Schimmel bildete Diese Situation hat den Ausbruch meiner MCS-Erkrankung begünstigt und heute könnte ich in so einer Wohnung nicht mehr wohnen.

• Wirtschaftlichkeit eines eventuellen Umzugs
Gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 SGB II heißt es:
Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.
Es kann davon ausgegangen werden, dass ein Umzug unwirtschaftlich ist, wenn innerhalb eines Zeitraums von 18 Monaten die Kosten eines Wohnungswechsels nicht durch die ersparten Unterkunfts- und Heizkosten abgedeckt sind.
In meinem Fall:
1-Personen-Haushalt, angemessene Warmmiete 371,-- €
tatsächliche Warmmiete 435,-- €
Übersteigende Warmmiete 64,-- €
Summe für 18 Monate 1.152,-- €

• Umzugskosten:
Wenn der Leistungsberechtigte den Umzug wegen Behinderung oder körperlicher Konstitution nicht selbst durchführen kann, kommt die Übernahme der Aufwendungen für einen gewerblich organisierten Umzug in Betracht.
Dies ist bei mir der Fall. Ich bin körperlich nicht mehr in der Lage, den Umzug allein zu bewältigen, habe niemanden, der mir hilft und brauche ein Umzugsunternehmen, das Möbel ab- und aufbaut, so dass ich nur Kisten ein- und auspacken muss. Mein Sohn ist kräfte- und zeitmäßig nicht in der Lage, mir zu helfen.
Außerdem kann ich die Renovierung einer neuen Wohnung nicht selbst vornehmen und kenne niemanden, der mir helfen kann. Früher habe ich immer alles selbst gemacht, heute habe ich die Kraft dazu nicht mehr. Abgesehen davon wird MCS-verträgliches Material zur Renovierung benötigt. Dies ist in der Regel teurer als "normale" Produkte.
Hinzu kommen noch eventuell erforderliche doppelte Mietzahlungen und Wohnungsbeschaffungskosten.

Fazit: Es gibt keine konkrete Alternative zu meiner jetzigen Wohnung und daher ist es gerechtfertigt und erforderlich, dass die tatsächlichen Kosten auch über die Sechs-Monats-Frist hinaus übernommen werden.

Mit freundlichem Gruß
Miss Excel
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Re: Wenn das Jobcenter wegen der Miethöhe einen Umzug forder

Beitrag von Miss Excel »

Ergänzendes, vielleicht hilfreiches Urteil zur Unmöglichkeit des Umzugs:

http://www.ra-fuesslein.de/wordpress/?p=804


Hier interessant für MCS-Betroffene:


Zitat:
Im zweiten Schritt prüft das SG Berlin, inwiefern ein Wohnungswechsel zumutbar war. Auch hier orientiert sich die Kammer an den tatsächlichen Verhältnissen und teilt mit, daß es aufgrund der Verhältnisse auf dem Berliner Wohnungsmarkt es glaubhaft erscheint, daß eine Ersatzwohnung nicht gefunden werden konnte.
Im Allgemeinen ist es ohnehin sehr ratsam – so unwahrscheinlich es erscheint- sich nach einer Kostensenkungsaufforderung nach § 22 SGB II sich sofort auf Wohnungssuche zu begeben und seinen – absehbaren – „Nicht-Erfolg“ zu dokumentieren.
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